09.09.2011
Arbeitsrecht
BAG: Kündigung des Chefarztes einer katholischen Klinik wegen Wiederverheiratung unzulässig
Kündigung trotz Loyalitätsverstoß des Arztes sozial ungerechtfertigt
Die Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus rechtfertigt nicht in jedem Fall seine ordentliche Kündigung. Zwar haben Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen das verfassungsmäßige Recht, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Als Loyalitätsverstoß kommt auch der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe in Betracht. Eine Kündigung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Loyalitätsverstoß auch bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall ein hinreichend schweres Gewicht hat. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hervor.
Der Kläger des zugrunde liegenden Rechtstreits trat im Jahr 2000 als Chefarzt in die Dienste der Beklagten, die mehrere Krankenhäuser betreibt. Der Dienstvertrag der Parteien wurde unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GO) geschlossen.
Nach deren Art. 4 wird von den Mitarbeitern die Anerkennung und Beachtung der
Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet. Nach Art. 5 Abs. 2
GO kommt eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen bei schwerwiegenden
Loyalitätsverstößen in Betracht. Als ein solcher Verstoß wird auch der Abschluss einer
nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen
Ehe angesehen. Nachdem sich die erste Ehefrau des Klägers von diesem getrennt
hatte, lebte der Kläger mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen.
Das war der Beklagten nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts
bekannt. Nach seiner Scheidung von der ersten Ehefrau heiratete der Kläger im Jahr
2008 seine jetzige Frau standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt
hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. März 2009
ordentlich zum 30. September 2009. Die Beklagte beschäftigt auch nicht katholische,
wiederverheiratete Chefärzte. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der
Klage stattgegeben.
BAG weist Revision des Krankenhauses zurück und erklärt Kündigung für sozial ungerechtfertigt
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beklagten mit zurück. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG. Zwar hat sich der Kläger einen Loyalitätsverstoß zuschulden kommen lassen, dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beträchtliches
Gewicht zukommt. Insgesamt überwog jedoch das Interesse des Klägers
an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Dabei fällt in die Waagschale, dass die
Beklagte selbst sowohl in ihrer Grundordnung als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend
und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes
Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichtet. Das zeigt sich sowohl an der
Beschäftigung nichtkatholischer, wiederverheirateter Ärzte als auch an der Hinnahme
des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft
von 2006 bis 2008. Zu berücksichtigen war ferner, dass der Kläger zu den
Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nach wie vor steht und an
ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden
Umstand scheiterte. Bei dieser Lage war auch der ebenfalls grundrechtlich
geschützte Wunsch des Klägers und seiner jetzigen Ehefrau zu achten, in
einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben
zu dürfen.
-
Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
- EGMR: Ehebruch ist auch im kirchlichen Arbeitsrecht kein Grund für Kündigung eines Kirchenmusikers ( Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil [Aktenzeichen: 425/03] )
- EGMR: Kündigung einer bei der evangelischen Kirche angestellten Kindergärtnerin wegen Mitgliedschaft in anderer Religionsgemeinschaft gerechtfertigt ( Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil [Aktenzeichen: 18136/02] )
- ArbG Düsseldorf: Kündigung eines Chefarztes wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit unwirksam ( Arbeitsgericht Düsseldorf Urteil [Aktenzeichen: 14 Ca 8029/10] )
- Vorinstanz:
- Nachinstanz:
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Bundesarbeitsgericht
- Entscheidungsart:Urteil
- Datum:08.09.2011
- Aktenzeichen:2 AZR 543/10
Quelle:Bundesarbeitsgericht/ra-online
