02.11.2009
Arbeitsrecht
LAG Hessen zu Entschädigungsansprüchen bei Benachteiligung schwerbehinderter Bewerber
Keine Entschädigung bei mangelnder Qualifikation des schwerbehinderten Bewerbers
Ein schwerbehinderter Bewerber kann eine Entschädigung verlangen, wenn der Arbeitgeber ihn wegen seiner Behinderung bei einem ausgeschriebenen Arbeitsplatz benachteiligt hat. Dies entschied das Hessische Landesarbeitsgericht.
Zur Widerlegung der Benachteiligungsvermutung könne sich der Arbeitgeber jedoch auf alle
geeigneten objektiven Tatsachen berufen. Daran sei er durch eine fehlende Unterrichtung nach §
81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht gehindert. Ein öffentlicher Arbeitgeber könne sich allerdings nur
auf solche Auswahlgründe stützen, die dokumentiert seien. Im Rahmen eines gerichtlichen
Verfahrens sei zwar die Ergänzung, nicht aber die Nachholung der Dokumentation zulässig (19/3
Sa 1636/08).
Verzögerte Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung als Vermutung der Benachteiligung nicht ausreichend
Nach einer weiteren Entscheidung (19/3 Sa 340/08) ist die verzögerte Unterrichtung der
Schwerbehindertenvertretung über den Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten
Menschen allein nicht geeignet, die Vermutung der Benachteiligung wegen einer Behinderung zu
begründen, wenn die Schwerbehindertenvertretung noch so rechtzeitig unterrichtet wird, dass sie
bei der Vorauswahl die Belange der schwerbehinderten Bewerber vertreten kann. Auch
bestünden die Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 7–9 SGB IX nur, wenn der Arbeitgeber seine
gesetzliche Beschäftigungspflicht nicht erfülle. Grundsätzlich folge weder aus § 15 AGG noch
aus § 242 BGB ein Anspruch des abgelehnten Bewerbers auf Mittelung der Gründe.
Hintergrund der Klage
Hintergrund beider Entscheidungen waren mehrere Klagen eines behinderten Stellenbewerbers
gegen öffentliche Arbeitgeber, die seine Bewerbungen abschlägig beschieden hatten. Daraufhin
hatte der abgelehnte Bewerber Entschädigungsansprüche wegen Benachteiligung aufgrund seiner Behinderungen gegenüber den Arbeitgebern gerichtlich geltend gemacht.
Kein Anspruch auf Entschädigung
Das Hessische Landesarbeitsgericht wies in der einen Entscheidung 19/3 Sa 340/08 darauf hin,
dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch mangels Benachteiligung bei der Begründung
eines Arbeitsverhältnisses nicht zustehe.
Entschädigung bei Nichteinstellung beläuft sich auf maximal drei Monatsgehälter
Zwar kann nach § 15 Abs. 2 AGG bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen
eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, der oder die Beschäftigte eine angemessene
Entschädigung in Geld verlangen. Wenn der oder die Beschäftigte auch bei
benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, darf die Entschädigung bei einer
Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen.
Schwerbehindertenvertretung zwar verspätet aber dennoch rechtzeitig informiert
§ 81 Abs. 1 SGB IX lege dem Arbeitgeber Pflichten über die Beteiligung der
Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren auf und die
Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei grundsätzlich geeignet, die Vermutung
einer Benachteiligung wegen Behinderung zu begründen. Allerdings rechtfertige die verzögerte
Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über den Eingang einer Bewerbung eines
schwerbehinderten Menschen allein nicht die Vermutung einer Benachteiligung, wenn sie – wie
vorliegend geschehen – noch so rechtzeitig erfolgt sei, dass diese bei der Vorauswahl der
Bewerbungen die Belange des behinderten Bewerbers vertreten könne.
Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bei fehlender Qualifikation nicht erforderlich
Auch auf dem Umstand der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, der nur
bei einem öffentlichen Arbeitgeber eine Tatsache darstellt, die geeignet ist, die Vermutung einer
Benachteiligung wegen der Behinderung zu begründen, habe der Kläger den Anspruch nicht
stützen können. Denn diese Verpflichtung bestehe nicht, wenn der schwerbehinderte Bewerber
für die ausgeschrieben Stelle offensichtlich nicht geeignet sei. Diese Feststellung sei anhand
eines Vergleichs des für die zu besetzende Stelle bestehenden Anforderungs- mit dem
Leistungsprofil des behinderten Bewerbers zu ermitteln. Die fachliche Eignung fehle, wenn der
Bewerber über die für die zu besetzende Stelle bestehenden Ausbildungs- oder
Prüfungsvoraussetzungen oder sonstige Voraussetzungen, wie z.B. die nach der Stelle
geforderten ausreichenden praktischen Erfahrung nicht verfüge.
Keine Einladung zum Vorstellungsgespräch bei ausreichender Qualifikation führt zu Entschädigungsansprüchen
In dem weiteren Verfahren (19/3 Sa 1636/09) sprach das Berufungsgericht dem Kläger hingegen
eine Entschädigung in Höhe eines Monatsgehaltes zu, da der öffentliche Arbeitgeber ihn nicht zu
einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Der Arbeitgeber konnte sich in diesem Fall nicht
darauf berufen, dass der Bewerber für die zu besetzende Stelle offensichtlich nicht geeignet sei,
da die nach dem Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung geforderten Voraussetzungen in seiner Person vorlagen. Insoweit müsse der öffentliche Arbeitgeber sich an dem Wortlaut seiner Stellenausschreibung festhalten lassen.
Klage nicht rechtsmissbräuchlich
Im Übrigen sah das Berufungsgericht die Klage des abgelehnten Bewerbers auch nicht als
rechtsmissbräuchlich an. Zwar könne einer Entschädigungsklage der Einwand des
Rechtsmissbrauchs entgegen gehalten werden, wenn die Bewerbung nicht subjektiv ernsthaft,
sondern nur zum Zweck des Erwerbs von Entschädigungsansprüchen erfolge. Allerdings hätten
vorliegend keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger sich nicht subjektiv ernsthaft
beworben habe. Er sei für die Stelle nicht objektiv ungeeignet und habe eine auf die
Stellenausschreibung zugeschnittene Bewerbung abgegeben. Aufgrund der Kündigung seines
früheren Arbeitgebers habe er mit dem Verlust seines Arbeitplatzes rechnen müssen, so dass
auch die Zahl von 120 Bewerbungen innerhalb von zwei Jahren nicht gegen die Ernsthaftigkeit
seiner Bewerbungen spreche.
- Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
-
Vorinstanz:
- Arbeitsgericht Offenbach am Main Urteil [Aktenzeichen: 3 Ca 291/07]
- Arbeitsgericht Darmstadt Urteil [Aktenzeichen: 12 Ca 215/08]
Angaben zum Gericht:
- Gericht:Hessisches Landesarbeitsgericht
- Entscheidungsart:Urteil
- Datum:28.10.2009
- Aktenzeichen:19/3 Sa 340/08 und 19/3 Sa 1636/08
Quelle:ra-online, Hessisches LAG
